Nibelungenentzündung

12,90 

Von Petra Hofmann

44 Zwischendurchgeschichten aus dem mehr oder weniger wahren Leben … Augenzwinkernd erzählt Petra Hofmann von den vielen großen und kleinen Katastrophen des Alltags – von einem Date mit dem eigenen Zahnarzt, bei dem ausgerechnet die Zähne nicht mitspielen, von nächtlichen Vampirbesuchen, heiligem Wasser aus dem Keller der Tante, Pflegemaßnahmen für die Haare auf dem Kopf oder gegen die Haare an den Beinen (jeweils mit maximalem Misserfolg), Dualseelenstress auf Parshit, Begegnungen mit wild gewordenen Frettchen oder mit allerlei Wesen im Kanalschacht, widerborstigen Haushaltsgeräten, hormongesteuerten Studenten … und nicht nur einmal fragt man sich als Leser, was in diesen Geschichten denn nun eigentlich erfunden ist und was nicht. Vielleicht will man es auch lieber gar nicht so genau wissen. Eines jedenfalls ist garantiert: beste Unterhaltung mit Lachanfällen.

Softcover, 192 Seiten

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Nibelungenentzündung

Das Leben hat einen Marderschaden


Leseprobe:

Wenn es ja nicht so lustig wäre, wäre es echt traurig. Meine an mittelschwerer Demenz erkrankte Tante muss ins Pflegeheim umziehen, und ich habe die dankbare Aufgabe übernommen, ihr Haus zu entrümpeln.

Sie ist ein sehr religiöser Mensch, was sich auch in der Einrichtung ihres Eigenheims mit Garten widerspiegelt. In ihrem Haus scheint alles irgendwie heilig zu sein. Gleich beim Aufschließen der Eingangstür stoße ich mir im Flur den Kopf an einem übermäßig großen Kruzifix. Ich will zum Fluchen ausholen, überlege es mir dann aber anders, nehme das Ding von der Wand und schiebe es durch den Flur nach draußen. Wer weiß, für welche Vampirjagd das noch gut sein kann.

Es ist so groß, dass man meinen könnte, ich wolle die Kreuzigung nachspielen. Jedenfalls denkt das der Nachbar. Ich kann es an seinen Augen ablesen. Im Auto verstaut, bekomme ich den Kofferraum nicht mehr zu. Die Füße schauen noch raus. Der Nachbar kneift die Augen zusammen. Ich nicke ihm freundlich zu und widme mich wieder den Räumungsarbeiten. Mit dem Kram könnte man eine ganze Kirche ausstatten. Ich bin überfordert.

Im Keller stoße ich auf Lourdes-Wasser der Jahrgänge 1970, 1976 und 1978. Heiliges Wasser aus heiliger Quelle. Das Wasser ist zum Teil älter als ich. Es steht ungeöffnet neben der Erdbeermarmelade und den eingekochten Pflaumen auf der einen Seite und diversen Steinguttöpfen auf der anderen Seite. Daneben lagern Toilettenpapier und Farbdosen in Weiß, Gelb und Hellgrau. Die sind allerdings vollkommen vertrocknet.

Dafür, dass die Flaschen schon so lange hier stehen, sieht das Wasser noch sehr klar aus. Ob heiliges Wasser schlecht werden kann? Kurzzeitig bin ich in Versuchung, einen Schluck direkt aus der Flasche zu nehmen, aber der Gedanke, es könnten kleine Urzeitkrebse oder so was darin leben, hält mich von meiner Spontanaktion ab. Ich packe alles in braune Umzugskartons und stelle das Wasser neben das Kreuz in den Kofferraum. Heiliger Kofferraum.

Auf dem Rückweg statte ich meiner Tante noch einen kurzen Besuch im Altenheim ab, verabschiede mich aber vorzeitig wieder, als sie beginnt „… Mein Wille geschehe …“ zu beten. Die Demenz wird allmählich sichtbar. Der Mann am Kreuz über ihrem Bett verdreht die Augen. Er versteht mich.

Ich beeile mich ein wenig mit dem Nachhausekommen, da sich noch lieber Besuch angekündigt hat. Die Umzugskartons meiner Tante versperren nun mein Erdgeschoss – und ich stehe verwirrt vor dem Backofen. Wo ist eigentlich die mittlere Schiene, wenn man vier zur Verfügung hat?

Ich räume alles irgendwohin – bis auf das Wasser. Mein Besuch ist der Meinung, dass Wasser aus einer heiligen Quelle unmöglich schlecht werden kann, und möchte davon probieren. In einem feierlichen Moment öffnen wir den 1976er Jahrgang. Das ist die Flasche, die die wenigsten Schmutzpartikel enthält – soweit man das mit bloßem Auge beurteilen kann.

Todesmutig versuche ich erst mal einen winzigen Schluck. Es schmeckt überraschend frisch. Gar nicht modrig oder nach Algen oder totem Maulwurf. Auch wenn mir beim Runterschlucken das gesamte Infektionsschutzgesetz durch das Hirn rast. Die Kinder dürfen nicht davon trinken. Einer muss ja überleben.

Mein Besuch ist da erheblich risikofreudiger und schenkt sich großzügig nach.

Natürlich bin nur ich es, die am darauffolgenden Tag auf die Kostprobe reagiert. Mir ist schlecht und in meinem Bauch rumort es. Das müssen die Urzeitkrebse sein.


Zusätzliche Information

Gewicht 285 g
Größe 20,9 × 14,7 × 1,1 cm
Auflage

1. Auflage, 2017

Einband

Softcover

Seiten

192

ISBN

978-3-9813592-9-9